Fotografien & Texte

Kurze Gedanken über die deutsche Wende


Da die Wende für mich das wichtigste historische Ereignis in meinem Leben darstellt, hier ein Auszug aus meinen erweiterten Jugenderinnerungen. Ich war immerhin 38, wurde nach meiner Auffassung erst bei der Heirat mit Bärbel erwachsen, also mit 44.

Irgendwann kam, unerwartet die Deutsch-Deutsche Wende. Wer hätte damit noch gerechnet? Am 18. August 1989 waren Bärbel und ich in Schwerin zur Hochzeit ihres Cousins Helmut. Die westdeutschen Botschaften in Prag und Budapest quollen über von Flüchtlingen. Dass etwas passieren würde, war klar. Nur was? Ein gewaltsames Eingreifen des Staates, so wie kurze Zeit vorher in China, auf dem „Platz des himmlischen Friedens“, oder die Einführung der Reisefreiheit für DDR-Bürger? Der Deckel war kaum noch auf dem kochenden Topf zu halten. Ich war optimistisch: Beim nächsten Mal sehen wir uns alle in Westberlin. Die mutigen Leipziger gingen zum Montagsgebet in die Nicolai-Kirche, unter den Augen der Stasi. Die Stasi hat wahrscheinlich mitbeten müssen. „Schwerter zu Pflugscharen“, was für ein Satz! Gorbatschow zu Honecker: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, während der Feier zum 40-jährigen Bestehen der DDR, am 6. Oktober 1989.  Am 17. Oktober 1989 wurde Honecker gestürzt und durch Egon Krenz ersetzt. Auf der Großdemonstration der „Künstler und Kulturschaffenden“ am 4. November 1989 in Ostberlin sprach alles, was in der DDR Rang und Namen hatte. Auch Markus Wolf, ehemaliger Chef des DDR-Auslandsgeheimdienstes, er sah seine Felle wegschwimmen. War Wolf ein Kulturschaffender? Ja, er schrieb später Kochbücher. Bärbel Bohley zu Christa Wolf, nach der Rede von Markus Wolf: „Dem Markus haben die Hände gezittert, jetzt ist die DDR am Ende“, die Zeit war reif. Aber auch Christa Wolf war inoffizielle Mitarbeiterin der Stasi. Hatte sie verdrängt, wie so viele andere auch. Gregor Gysi war auch dabei und versuchte im Auftrag der Partei, als unverbrauchte Kraft Öl auf die Wogen zu gießen. Er wiegelte ab, ohne Erfolg! Ich verfolgte die Veranstaltung fasziniert am Fernseher.  Am 9. November 1989 öffnete sich die Mauer durch eine Pressekonferenz des schlecht vorbereiteten Günter Schabowski. Er war übrigens einer der wenigen aus dem Führungskader der DDR, der später Selbstkritik übte. Schabowski war vorher allerdings auch einer der schärfsten Hunde der DDR, also ein echter Wendehals. Volkskammersitzung am 13. November 1989: Manfred von Ardenne sprach, ein Abgeordneter fragte den zuständigen Minister nach der wirtschaftlichen Lage der DDR. Der wusste keine rechte Antwort. Es zeigte sich jedoch, dass die DDR pleite war. Der senile, noch vor einer Woche gefürchtete Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke: „Ich liebe euch doch Alle“. Die Anrede „Genosse“ wurde in der Volkskammer bemängelt. Die DDR fiel wie ein Kartenhaus zusammen. Ich freute mich sehr darüber, dass diese perverse Situation der deutschen Teilung, die mich ein, bis dahin ganzes Leben behelligt hatte, endlich vorbei war. Nicht unbedingt darüber, dass die DDR zusammen gebrochen war, sondern dass die Deutschen wieder zusammenkommen konnten. Ich, früher, zu Tante Käthe: Irgendwann stehe ich deinem Sohn Kurt mit einem Gewehr gegenüber, sie schaute mich erschreckt an. Undenkbar, doch dazu wurden die Bundeswehr und die Nationale Volksarmee geschaffen! Deutschtümelei liegt mir allerdings fern und bei der Bundeswehr war ich natürlich auch nicht. Die Westberliner Radfahrer haben mit ihrer näheren Umgebung eine neue Freiheit gewonnen. Einem Berliner ging es halt besonders nahe. Nicht wie den westdeutschen Sonntagsrednern, die die Wiedervereinigung herbeireden wollten, und als sie dann endlich da war, alles versauten (zum Beispiel mit der Treuhandgesellschaft). Nun ja, mit der Wiedervereinigung dauerte es fast noch ein ganzes, sehr interessantes Jahr. Für mich allerdings sind Wende und Wiedervereinigung inzwischen zu einem Begriff verschmolzen. Die einzige, wirklich große Leistung des dicken Helmut Kohl, war es die Wiedervereinigung einzufädeln. Das muss ihm der Neid lassen oder witterte er gleich das große Geschäft? Ich glaube es eigentlich nicht, das ergab sich einfach so. Man musste nur einfach zugreifen. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur zu naiv.

Konsequenterweise war ich am 9. November 1989 nicht in Berlin, wie auch beim Mauerbau. Ich war mit Bärbel zu einem Kurzurlaub im Rheingau. Nach einer ausgiebigen Weinprobe war Bärbel schon im Bett. Ich las noch in der Gaststube, wo der Fernseher lief. Ich traute meinen Augen nicht, rauf zu Bärbel: Die sitzen in Berlin auf der Mauer. Frage: auf welcher Mauer? Zwei Tage später, wegen unseres unverkennbaren Berliner Tonfalls: was denn, ihr schon hier? Wie oft wurden wir im Urlaub gefragt, ob wir aus West- oder aus Ost-Berlin kämen? Die Kenntnisse der Deutschen Geografie und Geschichte sanken mit dem Quadrat der Entfernung von der gemeinsamen Grenze, außer in Bayern. Da war überhaupt nichts dergleichen vorhanden. Für sie war „Gesamtdeutsch“ die Beziehung zwischen der damaligen Bundesrepublik und Bayern. Am folgenden Montag nach unserer Reise, dem 13. November, nach dem ersten Nachtdienst, bin ich zum Potsdamer Platz gefahren. Der Potsdamer Platz war eine besondere Grenzbrache zwischen den Teilen Berlins. Die Trabbis hoppelten durchs Niemandsland von Ost nach West. Die Tränen kullerten bei mir. Es war hautnah erlebte Geschichte. Solch ein Erlebnis kann kein Geschichtsbuch beschreiben. Kein Fotoapparat dabei. Ich habe entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten, fotografisch die Wende verschlafen. Ein einziges Bild gibt es jedoch, den Abbau des Schlagbaumes an der Interzonen-Autobahn bei Dreilinden.

Was mir beim Ende des „Dritten Reichs“ unverständlich, aus der Geschichte heraus, geblieben war, wurde mir in den folgenden Jahren vorgemacht. Die Mächtigen in Wirtschaft und Politik von einst schwammen wieder obenauf, wie die Fettaugen auf der Suppe. Vom Sozialisten zum Kapitalisten war es nur ein kurzer Weg. Auch vom Internationalisten zum Ausländerfeind war es nicht weit. Vom LPG-Vorsitzenden zum Großbauern, vom Kombinatsleiter zum Treuhandabwickler, von einer Blockflöte zum Bundesminister mit vorteilhaft gekauftem Seegrundstück, etc., etc. Wie vor 45, als Erster den Arm hochgerissen, und vor 89 sich danach gedrängt, am 1. Mai die rote Fahne vor den Massen hertragen zu dürfen. Hinterher waren alle Widerstandskämpfer. Die Mitgliedschaft in der SED wurde mit Liebe zum Frieden begründet und diese Erklärung war kein Einzelfall. Die SED brachte im Ausland die Parteikasse in Sicherheit. So konnte sich die neue Linke finanziell gut ausgestattet gründen. Kaum jemand wurde zur Rechenschaft gezogen. Einige Mauerschützen wurden verurteilt, die Befehlshaber jedoch nicht. Entlassene „Informelle Mitarbeiter“ der Stasi klagten sich in unsere Firma zurück, sicher auch woanders. Bei uns bekamen sie sogar Führungsposten. Ich habe verstanden. Glücklicherweise habe ich nie den Beweis antreten müssen, dass ich aufrechter gewesen wäre. Nun ja, auch die westlichen Wiedervereinigungs-Gewinnler hielten sich an der DDR und ihren naiven Bürgern schadlos, eine wirkliche Schande. Nicht ohne Grund gab es bei der Polizei in Tempelhof eine Abteilung für „Politik- und Vereinigungskriminalität“. Lt. Wikipedia belaufen sich nur die Betrügereien im Rahmen der Währungsunion, um ca. 20 Mrd. DM. Die Betrügereien rund um die Treuhand dürften noch höher liegen. Imobilienmakler, Zeitungsabonnements-Versicherungsvertreter und viel andere übervorteilten die unwissenden DDR-Bürger. Gemeinden wurden viel zu große Klärwerke aufgeschwatzt. Dies ging natürlich nicht, ohne Hilfe der örtlichen Vertreter. Auf jeden Fall sind einige Gemeinden zahlungsunfähig geworden. Allerdings wurden wir aus dem Westen bei Warnungen und Hinweisen als Besserwessies abqualifiziert.

Eine unserer ersten Radtouren in die neue Umgebung, führte uns nach Rangsdorf, wo ich ja kleine Teile meiner Kindheit verbracht hatte. Meine Tante Ilse und ihr Mann Stasi-Alex lebten nicht mehr. Cousin Bernd und seine Frau wohnten immer noch dort. Die erste Frage: Kommst du wegen des Grundstücks? Ich war recht irritiert über die Frage. Unser Großvater hatte das Grundstück am Anfang des Krieges gekauft, um ein Ausweichquartier für die erwarteten Bombenangriffe zu haben. Er wusste es: Wer Bunker baut, wirft auch Bomben. Meine Familie hatte es später wirklich gebraucht, nachdem Großvater und Großmutter in der Steglitzer Karl-Stieler-Straße ausgebombt waren. Onkel Alex hatte inzwischen die Hälfte der Fläche, den hinteren Obstgarten, verkauft. Der Erlös des Verkaufs reichte gerade für einen Farbfernseher (es handelte sich immerhin um rund 2000 qm). Nein, ich hatte nie an das Grundstück gedacht. Ich war noch zweimal dort. Bernd war immer betrunken. Dann lösten sich die Familienbande auf. Dank für den Verzicht auf das halbe Grundstück? Nein! Was hätte ich jedoch mit einem Grundstück und einem kleinen Haus in der Walachei anfangen sollen? Und was hätte eine Familie ohne Heim gemacht? Mich ausbezahlen hätte er sich bestimmt nicht leisten können und mich hätte es nicht reich gemacht.